Hätte man es im Blick des Täters sehen müssen?

Shownotes

Wie ist es möglich, für ein unfassbares Geschehen Worte zu finden? Was heißt es, ein Buch dann in der Stadt vorzustellen, in der die in ihm geschilderte Gewalttat stattgefunden hat? Was heißt es für ein Kind, sich in für Erwachsene gedachten Ritualen der Verarbeitung zurechtfinden zu müssen? Mit seinem Roman „Die Ausweichschule“ stand Kaleb Erdmann auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis 2025. Jetzt stellt der Autor seinen Roman, in dem es auf den ersten Blick um den Amoklauf an einem Erfurter Gymnasium vor 23 Jahren geht, im Gespräch mit Kira Kramer am Stand der F.A.Z. auf der Frankfurter Buchmesse vor. Eine Sonderfolge des Bücher-Podcasts.

„Die Ausweichschule“ von Kaleb Erdmann auf der Website von Park x Ullstein

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00:00:08: Mit seinem Roman Ausweichschule stand Khalib Erdmann auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis.

00:00:15: Jetzt stellt der Autor seinen Roman über den Amoklauf an einem Erfurter-Gymnasium vor die Jahre.

00:00:21: Im Gespräch mit Kira Kramer am Stand der FAZ auf der Frankfurter Buchmesse vor.

00:00:26: Eine Sonderfolge des Bücher-Podcasts.

00:00:31: Herzlich willkommen am Buchmessenstand der FAZ.

00:00:35: Ich freue mich, dass Sie alle da sind.

00:00:37: Ich bin Kira Kramer.

00:00:39: Und neben mir sitzt der Autor Karl-Leb Erdmann, der jetzt mit seinem zweiten Roman die Ausweichschule, den Sie hier vor uns sehen, auf der Shortlist zum deutschen Buchpreistand.

00:00:49: Karl-Leb schreibt aber nicht nur Romane, sondern auch Theaterstücke.

00:00:54: Always Carry On feierte in diesem Februar-Premiere.

00:00:58: Und Briebücher fürs Fernsehen schreiben Sie auch.

00:01:02: Bevor wir richtig einsteigen in Ihren Roman, etwas ... zu dem ganzen Trubel hier auf der Messe.

00:01:08: Longlist, dann Shortlist, von jetzt auf gleich viel Interesse an Ihrem Werk, aber auch an Ihnen.

00:01:16: Wie haben Sie das erlebt?

00:01:16: und was passiert mit einem als Autor, wenn man plötzlich für so einen Preis nominiert ist?

00:01:23: Ja, es ist natürlich eine unglaubliche Aufmerksamkeit, die dadurch da war.

00:01:29: Ich habe so ein bisschen das Gefühl, dass sich die Aufmerksamkeit noch mal ein bisschen stärker auch auf das Thema verlagert hat.

00:01:37: Genau, also ich glaube grundsätzlich, was mir immer wichtig, dass es um Literatur geht in dem Buch und eigentlich nicht, ja, dass es eben kein Sachbuch ist, sondern um Fragen der Literatur und der Frage, was Kunst eigentlich zu den Themen von Gewalt und Verarbeitung beitragen kann.

00:01:53: Und das war eigentlich am Anfang kurz nach dem Erscheinen, fand ich das total toll, dass es in der Rezeption sehr gespiegelt wurde.

00:02:01: Und ich habe das Gefühl, dadurch, dass nochmal eine größere Öffentlichkeit durch die Shortlist reingekommen ist, hat sich das wieder vielleicht... ein bisschen wieder so ein Schritt zurück gemacht und das Thema ist wieder mehr in den Vordergrund gekommen.

00:02:11: oder sagen wir mal vielleicht meine persönliche Geschichte hat sich so ein bisschen wieder vor der Literatur gedrängt und habe ich wieder so ein bisschen händering versucht auf das roman zu tippen auf dem

00:02:22: was diese Geschichte ist und worum es genau geht.

00:02:23: weil wir natürlich gleich auch noch sprechen kommt noch eine Sache, um noch mal nachzufragen, weil ich habe vor ein paar Wochen mit meinem Kollegen aus der Redaktion, die hat man da gesprochen, der meinte, als er, auf der Shortlist stand, mit die Abschaffung der Arten hat sich was verändert für ihn, nämlich, dass er sich die ganze Zeit fragen musste, es wurde anstrengend, warum mögen die Leute diesen Roman?

00:02:44: Was ist denn daran jetzt besser als an meinen anderen Romanen?

00:02:46: Oder was ist denn jetzt dieses besondere daran?

00:02:49: Hat sich bei dir was geändert, bei ihnen was geändert im Blick auf ihren Roman?

00:02:55: als sie auf der Shortlist standen damit.

00:02:58: Ja, absolut.

00:02:59: Aber ich glaube, das geht auch irgendwie in eine ähnliche Richtung.

00:03:01: Also es ist immer so diese Frage, wenn man mit einem sehr autofiktionalen Roman in der Öffentlichkeit steht, was genau ist eigentlich das Interesse daran?

00:03:09: Also geht es irgendwie um vielleicht auch um eine Rührseligkeit der Geschichte oder was ist eigentlich genau die Emotionen, die dazu kommen, gehen die Leute eher so mit dem Verstand oder mit dem Gefühl auf das Buch zu.

00:03:19: Das ist was, was ich auch in persönlichen Gesprächen sehr versuche, so zu erkunden und rauszufinden.

00:03:24: Und es ist, glaube ich, immer etwas von beidem.

00:03:26: Mögen Sie es lieber oder weniger?

00:03:27: gerne.

00:03:30: Genau so gerne.

00:03:34: Also noch gerne.

00:03:35: Okay, kommen wir zum Inhalt.

00:03:36: Also mit dem Roman, wichtig, das ist ein Roman, ist die Auswahlschule.

00:03:41: Legen Sie den Werk vor, dass Auf den ersten Blick, den Amoklauf in Erfurt im Jahr two-thausend-zwei zum Thema hat.

00:03:50: Damals ist der ehemalige Schüler Robert Steinhäuser in die Schule eingedrungen.

00:03:55: Er war zu dem Zeitpunkt seit einigen Monaten von der Schule suspendiert, hat dort ein und siebzig Schüsse abgegeben und sechzehn Menschen umgebracht.

00:04:07: Und diesen Amoklauf haben Sie, Herr Erdmann, vor drei Jahren als Elfjähriger auch miterlebt.

00:04:13: Allerdings, und das muss man, und das sagen Sie auch immer dazu, ohne selbst den Mord und die Toten gesehen zu haben.

00:04:22: Wichtig ist dennoch zu sagen, das haben Sie gesagt, es ist ein Roman, er ist also fiktionalisiert.

00:04:27: Und auf den zweiten Blick spätestens wird aber auch klar, dass der Amoklauf zwar der Stoff ist, den der Roman bearbeitet, aber das er eigentlich von etwas anderem handelt, nämlich von der Sprache selbst.

00:04:38: Also... wie es möglich ist, für das geschehene Worte zu finden, die richtigen oder überhaupt welche.

00:04:46: Insofern ist es eher ein metaromanes Schreiben über das Schreiben oder die Sprache über die Sprache, aber auch über die Widerspenstigkeit des Stoffes, der sich einerseits sie und uns als Leser anzieht, in der Art von einem Voyeurismus.

00:05:03: Wir alle gucken verstohlen hinwenden.

00:05:06: ein Auto mit dem anderen zusammen kracht oder vielleicht sogar Schlimmeres passiert.

00:05:10: Auf der anderen Seite aber auch sowas grausam ist das ein dann doch abstößt.

00:05:14: Und ich glaube gerade dafür ist in ihrem Roman Emanuel Carreira und dessen Roman der Widersacher wichtig.

00:05:23: Warum?

00:05:25: Ja, der Protagonist schaut sich auch ganz unterschiedliche Texte an.

00:05:29: Er versucht herauszufinden, welches Verhältnis Autorinnen und Autoren, die mit Gewalt umgehen, zu dieser Gewalt, diese Gewalt, die sie behandeln haben, erliest ganz nüchterne polizeiliche Texte wie den Gasserbericht, einen Polizeibericht des Thüringer Innenministeriums, der eben diese ganz harte und beschreibende Sprache hat, aber eben auch Hertha Müller, Leila Slimani und eben vor allem in Manu Karer.

00:05:53: Und an Karer fasziniert den Protagonisten, glaube ich, genau diese Frage.

00:05:59: Wie ist es möglich?

00:06:01: auch so ein Ereignis zuzugehen, ohne Invojurismus zu verfallen, ohne auch eine eigene Faszination erkennen zu lassen.

00:06:09: Und Carré hat ja darauf eigentlich die Antwort gegeben, nur indem ich mich als Autor eigentlich zwischen das das Ereignis und den Lesern die Leserin stelle und sozusagen meine eigene Motivation zum Thema mache und damit diese Zweifel beim schreibenden Stück weit auch mitnehmen in den Schreibprozess und auch weitergeben an den Lesern die Lesern ein Stück weit.

00:06:28: Würgen Sie doch mal kurz umreißen, worum es in dem Roman von Carrère der Widersacher geht?

00:06:34: Genau, Carrère hatte bis Mitte der Neunziger schon mehrere Romane vorgelegt, fiktionale Werke und hat sich dann mit einer realen Geschichte um einen Familienauslöscher, wie das ja so heißt, sich damit beschäftigt.

00:06:50: Das war ein Mensch, der Ende der Neunziger in Genf quasi ein Leben vorgetäuscht hat, das er nicht gelebt hat und dann am Ende seiner Charade seine Familie getötet hat.

00:07:02: Und Karreha hatte eben... Ja, er hat in sich eine Faszination gespürt für diese Tat.

00:07:08: Und dann aber immer wieder gemerkt bei jedem einzelnen Schreibanlauf.

00:07:12: Ich kann das nicht einholen, erzählerisch, wenn ich das einfach nur in der dritten Person oder ersten Person in Form eines Romanz erzähle.

00:07:18: Ich muss in irgendeine Art und Weise diese Metaerzählung mit reinbringen.

00:07:23: Ich muss über das Schreiben selbst eigentlich nachdenken und schreiben.

00:07:26: Und Emmanuel Carrère hat dann nach diesem Buch nie wieder einen Roman geschrieben.

00:07:31: Also er ist nie wieder zurückgekehrt.

00:07:34: sondern hat so diesen quasi biografischen, autofiktsionalen Style ist dabei geblieben und das fand ich ganz beeindruckend, dass Literatur sowas kann, so eine Veränderung im Schreiben und im künstlerischen Arbeiten von jemandem auszulösen.

00:07:50: Wir hatten es ja schon kurz angerissen.

00:07:52: Sie haben den Amnocklauf... in Erfurt vor drei Jahren erlebt, aber auch sonst gibt es einige Parallelen zwischen dem namenlosen Autor ihres Romans und ihnen selbst.

00:08:02: Auch ihr Protagonist ist in seinen Dreißigern.

00:08:06: Auch ihr Protagonist ist Autor und arbeitet hier gerade an seinem zweiten Roman.

00:08:13: Das ist bei Ihnen jetzt schon durch.

00:08:14: Den zweiten haben Sie vorgelegt.

00:08:18: Und auch der Autor hat den Amoklauf in Erfond miterlebt, auch mit elf Jahren.

00:08:22: Es steckt also einiges an Wahrheit oder viel mehr an Realität in dem Roman.

00:08:28: Aber natürlich auch Fiktionalisierung.

00:08:31: Zuerst mal, warum haben Sie denn kein Sachbuch geschrieben?

00:08:38: Weil ich das Gefühl hatte, es gab Schreibanläufe, die... versucht haben zu erzählen, also vielleicht einfach nochmal sozusagen diese Geschichte nachzuerzählen.

00:08:49: Und ich hatte dann aber immer mehr das Gefühl, es gibt für mich einfach keinen Grund.

00:08:53: Ich kann diesen Grund nicht erkennen, diese Geschichte fast zwanzig Jahre später nochmal zu erzählen.

00:08:58: Es gibt diesen polizeilichen Bericht, den Gasserbericht.

00:09:01: Es gibt auch ein literarisches Werk mit Ines Geipels.

00:09:04: Für heute reicht es darüber und ich hatte das Gefühl, auf diese Art und Weise nichts hinzufügen zu können.

00:09:10: Aber gleichzeitig hatte ich das große Bedürfnis, literarisch, künstlerisch auf dieses Ereignis zuzugehen.

00:09:17: Und deswegen war diese Metererzählung für mich der einzige Weg, der sich mir dann so entschlossen hat.

00:09:25: Und war das zum Teil nicht auch schwer mit Fiktionalisierung und Wahrheit zu jonglieren?

00:09:32: Also gerade weil man da so ein Ereignis hat, so ein Amaglauf, ich gehe davon aus, dass daran nichts hinzu erfunden ist, wie der stattgefunden hat und all das.

00:09:40: Aber gleichzeitig findet ja auch Fiktionalisierung statt und ist das nicht an manchen Stellen Auch schwer so zu schreiben und zu entscheiden, wo.

00:09:50: Ja,

00:09:50: absolut.

00:09:51: Ja, habe ich irgendwie viel darüber nachgedacht.

00:09:52: Genau, wie Sie sagen, für mich war total klar, dass alles, was mit dem Amoklauf selbst zu tun hat, nicht von Faktionalisierung betroffen sein wird, weil ich einfach in diesem Teil der Geschichte nicht alleine bin, weil es bis heute anhörige Opfer gibt, die... Ja, den man auch einfach den Respekt schuldet, diese Dinge darzustellen, wie sie passiert sind.

00:10:16: Und die Fiktionalisierung steckt eben in diesem Teil des... des Schriftstellers, der sich, glaube ich, schon dadurch unterscheidet, vor allem, dass er am Ende, das kann man, glaube ich, spoilern, eben scheitert.

00:10:27: Das ist der große Unterschied.

00:10:29: Also ich habe es am Ende geschafft, dass es dieses Buch gibt.

00:10:33: Aber dieses Buch ist nicht das Buch, das der Protagonist im Buch schreibt, sondern es ist ein Werk, an dem er am Ende scheitert, vor allem, weil er eben keinen Verlag findet, weil er damit gegen eine Wand rennt.

00:10:45: Und das ist, glaube ich, der Hauptunterschied, dass diese, ja, so ein bisschen der leidende Autor, was ja auch so ein bisschen so eine Drope, so ein Klischee ist, sehr im Mittelpunkt steht, hatte ich vielleicht an manchen Stellen auch ein bisschen die Freude daran, das satirisch zu überspitzen.

00:11:01: Also dieses Leiden am Schreiden und dann Ende auch daran scheitern steht eigentlich sehr im Zentrum dieses Buches.

00:11:07: Wie sehr haben Sie denn gelitten?

00:11:08: Und ich selber eben gar nicht so sehr.

00:11:10: Also das Interessante fand ich, dass man sich natürlich immer damit auseinandersetzt, wenn man diese schrecklichen Dinge recherchiert und auch diesen Gasserbericht liest.

00:11:20: Also man muss sich vorstellen, er ist dreihundert neunzig Seiten lang und hat eben diese unglaublich nüchterne und polizeiliche Genauigkeit.

00:11:26: Und das ist in jeder Bedeutung des Wortes einfach ein schrecklicher Text, der einem unglaublich irgendwie so auf der Brust liegt.

00:11:33: Und dann gibt es natürlich auch immer die Frage, welche Rolle spielt Betroffenheit.

00:11:37: Also ist es nimmt es mir jetzt den Atem, weil ich betroffen bin oder würde jeder eine Beklemmung empfinden auf Grundlage dieses Textes.

00:11:49: Aber im Großen und Ganzen bin ich nicht so dieser leidende Autor, der da dargestellt wird.

00:11:55: Ich habe eigentlich eher strukturiert daran gearbeitet, weil das auch mein Bedürfnis war zu ordnen.

00:12:03: Das war, glaube ich, meine Intention als Autor und auch das, was ich mitnehmen konnte.

00:12:09: Sie haben es gerade schon angesprochen.

00:12:11: Von dem Amoklauf selbst sind ja nicht nur Sie selbst betroffen gewesen, sondern auch viele andere Schüler, Lehrer.

00:12:20: Haben Sie, und davon gehe ich aus, zu denen, nachdem der Roman in der Welt war Kontakt gehabt und vielleicht sogar auch davor, haben Sie dort schon gelesen in Erfurt?

00:12:29: Wie ist das?

00:12:31: Ja, tatsächlich hatte ich meine allererste Lesung in Erfurt nach meiner Premierenlesung.

00:12:37: Und das war wirklich ein unglaublicher Moment, weil meine Lektorin hat mich begleitet, hat auch moderiert und sie sagte, sie hat noch nie so eine Stille, einfach so eine Beklemmung und Stille in einem Raum gespürt und es waren über hundert Leute da und es war so sehr... Ja, also eine ganz beklemmende Atmosphäre.

00:12:57: Und dann ist aber, fand ich, was ganz Schönes passiert.

00:13:00: Und zwar habe ich dann aus dem Buch gelesen und... dann wurde auch so ein bisschen klar, dass es auch Humor gibt in dem Buch oder zumindest so eine Alltäglichkeit, die so dieses Schreckliche einfängt.

00:13:10: Und dann haben Leute so durch die Nase geschnauft und dann ist da so was aufgebrochen.

00:13:14: Und das fand ich total, ein total toller Moment, dass man über Literatur eigentlich dieses Ereignis nochmal anders kontaktualisiert hat, vor allem vor Menschen, die eben eine ganz spezifische Sicht haben, nämlich sowohl eine persönliche Sicht, wie auch die Sicht so über den Journalismus, der eben die harten Fakten auf den Tisch legt.

00:13:31: Und danach kamen dann mehrere Menschen zu mir, die das so ganz akribisch durchgearbeitet hatten mit tausend Post-its und dann so eine, ich sag mal, mozige Solidarität, dass sie dann gesagt haben, das heißt nicht Tram, das heißt Straßenbahn und so, so Anmerkungen.

00:13:46: Und das war mir total wertvoll, weil es für mich auch wichtig war, dass in Erfurt und auch Thüringen das Buch gelesen und angenommen und diskutiert wird.

00:13:54: Und war ein sehr schöner Moment.

00:13:57: Gab es auch negative Aussagen?

00:14:01: von Menschen, die betroffen waren?

00:14:06: Es gab schon so ein bisschen diese Schiene von, warum muss man das noch mal hervorholen?

00:14:13: Aber eigentlich sehr selten.

00:14:14: Also ich war wirklich sehr dankbar dafür, dass meine Intention mit dem Buch sehr gut verstanden und angenommen wurde.

00:14:22: das Schreiben und das Verarbeiten zu problematisieren und das klar wurde, dass man Intention nicht ist.

00:14:28: So, das muss jetzt noch mal auf den Tisch, weil man jetzt sozusagen, weil wir in der gewaltvollen Gegenwart leben oder so oder, dass man es auch einfach so als Schaubild oder als Beispiel nimmt für etwas anderes oder so.

00:14:39: Sondern es ist wirklich um eine intensive Beschäftigung damit geht, aus einer Perspektive, die vielleicht noch nicht ausgetreten ist.

00:14:44: Sie haben es gerade schon angesprochen.

00:14:46: Der Roman ist stellenweise auch wirklich komisch.

00:14:50: und das sogar auf zwei Ebenen, wie ich finde, zum einen in der Sprache selbst.

00:14:55: Der Erzähler wiederholt und wälzt immer wieder das eigene gesagt, aber auch das gesagt andere, anderen.

00:15:00: Zum Beispiel, wenn er das erste Mal den Dramatiker trifft, der vorhat, ein Stück über den Amoklauf zu machen, und der meldet sich bei ihm und sagt, wenn sich der Erzähler im Stande fühle, dann könne man doch mal darüber sprechen.

00:15:15: Und das wälzt er immer wieder.

00:15:16: Oder dann gibt es diesen Moment, wo er auf seinen Desktop auf dem Laptop schaut und da sieht er dann die Datei im Ordner treuen.

00:15:27: Also treuen, das heißt so viel wie Drohnen, das ist so ein literarischer gestochener Ausdruck dafür.

00:15:33: Und es ist immer wieder in der Sprache und auch immer wieder dieses Welsen und auch immer wieder neu formulieren.

00:15:38: Steckt so ganz viel komisch, aber dann auch fast was Slapstickhaftes.

00:15:41: Also wenn zum Beispiel so viel darf man verraten, der Erzähler darüber nachdenkt, in welche Flaschen man am besten reinpissen kann.

00:15:48: und welcher Flaschenhals dafür der geeignete ist.

00:15:52: Welche Rolle spielt das und warum ist das nötig in ihrem Roman?

00:15:57: Also ich habe schon immer komisch und torrentenhaft geschrieben in unterschiedlichen Genres, aber für mich war das kein Selbstzweck, sondern ich bin eigentlich überzeugt, dass diese Bewegung auf diesen dunklen Kern, auf dieses schwarze Loch wie sich der Protagonist darauf zu bewegt, einfach eine Krummik hat, weil sie eben eine Stolpernde ist, eine, die vielleicht immer wieder sich in den eigenen Ansprüchen, in den eigenen Füßen verheddert, dieses Sidestep-artige immer wieder einen Schritt zum Rückmachen, einen Schritt darauf zu, dann vielleicht auch wieder straucheln.

00:16:33: Also diese strauchelnde Zubewegung auf dieses Schrecken im Kern des Romans ist einfach was, was, finde ich, nach Humor ruft.

00:16:46: Und zu dem Humor kommt ja auch nochmal, dass wir wechselnde Zeit eben haben unter anderem, weil der Roman nicht chronologisch erzählt, aber auch, weil wir verschiedene Perspektiven haben.

00:16:56: Zum einen die Perspektive des Erzählers, der in seinen Dreißigern steckt und dann aber auch immer wieder die Perspektive des elfjährigen Jungen, der das damals erlebt hat und der bei vielen auch noch immer den Blick des erwachsenden Mannes beeinflusst.

00:17:16: Etwa daran, es gibt da eine Szene, wo es ein Bild von Steinhäuser, also dem Amokläufer, gibt und der blickt nach hinten über seine Schulter und danach wurde dann in Presse und Medien... Alles Mögliche, da hineininterpretiert, hätte man es sehen können, wenn man nur genau genug hingeschaut hätte in diesem Blick schon.

00:17:33: Und der Elfjährige denkt sich halt, na ja, da hat halt einfach jemand gesagt, hey, schau mal, und der hat sich umgedreht.

00:17:39: Inwiefern ist das schwierig mit diesem Blick des Elfjährigen, den Sie ja auch selbst haben, manchmal richtig an die Erkenntnis und Wahrheiten ranzukommen oder inwiefern ist der auch verstellt?

00:17:51: Ja, er ist manchmal verstellt, aber er ist manchmal vielleicht auch direkter, weil ich so das Gefühl habe, dass das, was der Protagonistenbuch den Fünf-Klässler-Kopf nennt.

00:18:01: Ich finde, man muss sich mal so ein bisschen klarmachen, dass diese Verarbeitung nach dem Armour-Claw-Lauf damals, diese Rituale waren alle so design für Erwachsene, also so die, die das in Kondolenz Bücher schreiben, dass mein Beileid sagen, Flaggen auf Halbmast, das Niederlegen von Gegenständen, von Blumen, etc.

00:18:21: Das waren alles so eingeschlüffende Rituale, mit denen man halt mit Trauer umgeht und die es dann vielleicht auch leichter macht.

00:18:29: Als elfjähriger, als Fünftklässler hat man das eben noch nicht so drin.

00:18:32: Und deswegen gibt es ganz viele Dinge, auf die man vielleicht auch mit Befremden schaut und auf die dann der Erwachsene, weil er eben nun mal verschmolzen ist mit seinem Fünftklässerkopf, auch wieder mit Befremden schaut.

00:18:42: Ein anderes Beispiel ist dieses Warum.

00:18:45: Fragen, dass es so in diesem Blumenmeer vor dem Gutenberg-Gymnasium, wo Menschen Dinge niedergelegt hatten, ganz oft diese Worte gab, dieses warum, warum, warum, diese Frage.

00:18:56: Und heutzutage ist man so irgendwie, da geht es irgendwie um Theodizee, also warum hat Gott das irgendwie zugelassen?

00:19:03: Und damals als Kind gibt es dann aber noch eine größere Undeutigkeit, wenn man sich so denkt, ah ja, geht es da jetzt um darum, das Motiv zu erkennen, also warum hat er das gemacht?

00:19:12: oder warum lässt Gott sowas zu?

00:19:14: Warum leben wir in einer Welt, die so was zulässt?

00:19:18: Da gibt es noch eine große Mehrdeutigkeit und fast schon eine spielerischere Art, auf diese Dinge zuzugehen, anstatt mit dieser verordneten Schwere, die man eigentlich in diesen Ritualen hat, darauf zuzugehen.

00:19:33: Und das fand ich ganz interessant, in Auseinandersetzung, aber auch in Konflikt mit diesem Fünft-Lesser-Kopf zu treten.

00:19:38: Ja, es ist ja auch interessant, gerade das Warum, dass Sie ansprechen, ist ja auch wieder ... Eine Meterfrage, die darin gestellt wird.

00:19:44: Also der Fünfklässler-Kopf fragt sich eigentlich, warum fragen die, warum?

00:19:47: Also, was ist das hier für ein Warum?

00:19:50: Zum Abschluss würde ich gerne mit Ihnen noch mal über das, was zuerst im Buch steht, sprechen, nämlich Sie haben Ihrem Buch zwei Motti gegeben und demgegenüber steht die Gedenktafel aller sechzehn Opfer, die dort... in Erfurt beim Ammerkloff und danach gestorben sind.

00:20:10: Wollen Sie uns diese zwei Motty einmal vorlesen und dann würde ich gern wissen, warum Sie die gewählt haben?

00:20:15: Ja, gerne.

00:20:16: Also hier sieht man es noch mal.

00:20:18: Also auf der einen Seite ist eben diese Gedenktafel, die heute am renovierten Gutenberg Gymnasium hängt.

00:20:24: Das hatte für mich auch wieder mit dieser Draufesicht zu tun.

00:20:27: Also ich hatte auch überlegt, ob man quasi einfach dieses Buch, diesen sechzehn Menschen Witt mit, aber ich fand dann sozusagen die Form des Gedenkens, die die Betroffenen selbst gewählt haben, nämlich diese Tafel einfach passender und auch passender zu meiner Rolle oder der Rolle des Protagonisten, nämlich als jemanden, der drauf schaut auf dieses Gedenken.

00:20:47: Genau und daneben sind die zwei Zitater, das erste ist von W.G.

00:20:52: Sebald.

00:20:54: Je mehr Bilder aus der Vergangenheit ich versammle, sagte ich, desto unwahrscheinlicher wird es mir, dass die Vergangenheit auf diese Weise sich abgespielt haben soll.

00:21:03: Denn nichts an ihr sei normal zu nennen, sondern es sei das Allermeiste lächerlich.

00:21:07: Und wenn es nicht lächerlich sei, dann sei es zum Entsetzen.

00:21:11: Das zweite direkt hinterher.

00:21:13: Das zweite ist eine Songzeile der Band Mount Erie.

00:21:19: Death is real, someone's there and then they're not.

00:21:23: And it's not for singing about, it's not for making into art.

00:21:28: Ganz interessant, denn das zweite widerspricht ja eigentlich dem, was sie mit dem Buch machen.

00:21:34: Aber auch das ist ja ein Song.

00:21:36: Also auch schon der Song tut es ja.

00:21:39: Und es ist ein bisschen schade.

00:21:40: Plattenfirmen sind leider ein bisschen kompliziert.

00:21:43: Die sind in der ersten Auflage sind beide Zitate drin.

00:21:45: Aber ab der zweiten gibt es nur noch das eine.

00:21:47: Das Mount Yuri.

00:21:48: Weil

00:21:48: sie die Rechte nicht mehr.

00:21:49: Ja, genau.

00:21:50: Also das ist wirklich ziemlich teuer, so Songtexte abzudrucken.

00:21:55: Nicht innerhalb des Buches interessanterweise, sondern als Motto vorne.

00:21:59: Es ist dann nochmal irgendwie eine andere Verwertung.

00:22:01: Ich weiß nicht so genau.

00:22:02: Und ich habe mir aber nach der Shortlist Wünsche, ob ich es vielleicht zurückkriege von meinem Verlag.

00:22:06: Genug

00:22:07: Geld dürfen wir jetzt eingenommen haben.

00:22:10: Funktioniert der Sehwald denn ohne Mount Erie?

00:22:13: Genau darüber habe ich nämlich auch schon viel nachgedacht.

00:22:16: Ich finde, die beiden treten so ein bisschen in Spannung.

00:22:18: Aber ich finde so dieses Sehwald-Zitat schon auch wichtig, weil ich genau diese Lächerlichkeit, das fand ich unglaublich interessant.

00:22:27: Also bei Wege Sehwald gibt es ja auch wirklich immer um die großen Menschheitsverbrechen.

00:22:32: Also es ist jetzt nicht so, dass es um irgendetwas weniger tragisches ginge, aber so diese Lächerlichkeit und Absurdität im Zurückdenken und vor allem nicht nur, nicht weil sozusagen das Ding selbst lächerlich ist, sondern weil man in einer eigenen Projektion und einem eigenen Draufschauen darauf sich einfach so hilflos fühlt, fühlt vor, diese mehr Ereignis, das fand ich unglaublich eindrücklich.

00:22:54: Ich darf eine letzte Frage stellen und Sie dürfen nur mit Ja oder Nein antworten.

00:22:59: Mögen Sie Tee?

00:23:00: Nein.

00:23:02: Gut.

00:23:03: Wer noch nicht weiß, warum ich das Kaleb Erdmann gerade gefragt hat, dem kann ich nur empfehlen, die Auswahlschule zu lesen.

00:23:09: Erschienen bei Park Ulstein.

00:23:11: Herr Erdmann, ich danke Ihnen vielmals für das Gespräch.

00:23:13: Viel Erfolg noch auf der Messe.

00:23:14: Vielen Dank.

00:23:16: Danke.

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